Freitag, 5. April 2013

Borderline: Wenn der innere Druck schwer auszuhalten ist

Idealisierung und Enttäuschung, Wut und Trauer, Liebe und Kontaktabbruch – Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung haben häufig instabile zwischenmenschliche Beziehungen und sind hin- und hergerissen zwischen ihrer Sehnsucht nach Geborgenheit und ihrer Angst vor Nähe. "Sie leiden unter Stimmungsschwankungen, starken Selbstzweifeln und reagieren oft impulsiv", sagt Dr. Christiane Roick. Die stellvertretende Leiterin des Stabs Medizin im AOK-Bundesverband erklärt, wie man die häufige Form einer Persönlichkeitsstörung erkennen und behandeln kann.

An einer Borderline-Störung, die auch als emotional-instabile Persönlichkeitsstörung bezeichnet wird, leiden ein bis zwei Prozent der Bevölkerung. Meist zeigt sich die Störung erstmals im Teenager-Alter. Sie kann begleitet sein von anderen psychischen Erkrankungen, etwa Depressionen oder Angststörungen.

Extreme Anspannung

Borderline-Patienten haben Schwierigkeiten, ihre Gefühle in den Griff zu bekommen. Bereits geringe Belastungen oder Probleme im zwischenmenschlichen Kontakt können bei ihnen schnell zu einer starken emotionalen Anspannung führen. Da es ihnen schwerfällt, Gefühle wie extreme Wut, Angst oder Verzweiflung zuzuordnen, erleben sie diesen Zustand als äußerst quälend. Um den inneren Druck zu verringern und wieder ruhiger zu werden, verletzen sich viele Betroffene selbst, indem sie sich etwa an Armen oder Beinen ritzen oder schneiden.

Andere unangemessene Strategien zum Spannungsabbau können Alkohol- oder Drogenmissbrauch, riskantes Autofahren oder Essattacken sein. Während Frauen vor allem sich selbst schaden, richten Männer ihre Aggressionen teilweise auch gegen andere. Mehr als die Hälfte der Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörungen berichtet über Versuche, sich das Leben zu nehmen.
 


Bedrückende innere Leere

Typisch für die Borderline-Störung ist aber nicht nur eine extreme Anspannung, sondern auch eine immer wieder auftretende bedrückende innere Leere. "Bei Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung sind auch das Selbstbild und das zwischenmenschliche Verhalten instabil", sagt AOK-Medizinerin Roick. Viele sind sich nicht sicher, wer sie wirklich sind oder berichten über eine gestörte Wahrnehmung ihres eigenen Körpers. Sie haben Schwierigkeiten, im Kontakt mit anderen Menschen Nähe zu ertragen – andererseits aber auch große Angst davor, verlassen zu werden. Während sie anfangs andere Menschen oft idealisieren und für sich einnehmen, neigen sie später dazu, diese abzuwerten, wenn sie ihre Erwartungen nicht erfüllen können. Die Folge sind schwierige Beziehungen mit häufigen Trennungen und Wiederannäherungen. Das wechselhafte, oft unberechenbare Verhalten kann auch das Berufsleben belasten und zum Abbruch von Ausbildungen und zu Arbeitslosigkeit führen.

Außerdem haben die Betroffenen unter großer Anspannung das Gefühl, die Kontrolle über die Realität zu verlieren. Hinzu kann eine verzerrte Wahrnehmung von Raum und Zeit kommen sowie sogenannte Flashbacks, in denen die Patienten traumatisierende Ereignisse wieder erleben. Alpträume und Schlafstörungen belasten sie oft zusätzlich.
 


Hilfe in Anspruch nehmen

Wird die Borderline-Persönlichkeitsstörung angemessen behandelt, können sich die Beschwerden deutlich verbessern. "Beim Verdacht auf eine Borderline-Störung sollten Betroffene sich nicht scheuen, Hilfe in Anspruch zu nehmen", rät AOK-Ärztin Roick. Um die Diagnose stellen zu können, erfragt der Arzt, ob typische Symptome vorhanden sind. Dazu kann er ein speziell für die Borderline-Störung entwickeltes strukturiertes Interview durchführen. Außerdem muss der Mediziner andere Ursachen, beispielsweise organische Erkrankungen, ausschließen und prüfen, ob weitere psychische Begleiterkrankungen vorliegen.

Ursächlich für die Entstehung einer Borderline-Störung scheint das Zusammenspiel aus einer genetischen Veranlagung und frühen traumatisierenden Erfahrungen zu sein. So haben viele Patienten in ihrer Kindheit körperliche Gewalt, sexuellen Missbrauch oder Vernachlässigung durch Bezugspersonen erlebt. Diese unterschiedlichen Einflussfaktoren führen vermutlich zu Störungen der Regulierung des emotionalen Erlebens, die sich auch in neurobiologischen Untersuchungen nachweisen lassen. So zeigt sich bei den betroffenen Patienten in bestimmten Hirnregionen eine überdurchschnittlich starke Reaktion auf Reize.
 


Gute Erfahrungen mit Psychotherapie

Für die Behandlung der Borderline-Störung werden in deutschen Leitlinien vier spezifische Psychotherapiemethoden empfohlen. Die "Dialektisch Behaviorale Therapie" (DBT) gilt derzeit als das Verfahren, das wissenschaftlich am besten abgesichert ist. Es wurde in den 1980er Jahren von der Amerikanerin Marscha Linehan als Therapie für selbstmordgefährdete Patienten mit einer Borderline-Störung entwickelt. In der ersten Therapiephase arbeiten Patient und Therapeut an Möglichkeiten, wie der Patient sein Verhalten besser verstehen und kontrollieren kann und mit Selbstmordgedanken sowie mit selbstverletzenden oder aggressiven Impulsen umgehen kann. In der zweiten Therapiephase geht es besonders um den Umgang mit Problemen infolge von traumatischen Erlebnissen, Essstörungen, Alkohol- oder Drogenmissbrauch. 

Neben einer Einzeltherapie nimmt der Patient in der Regel auch an einer Gruppentherapie teil. Dabei versuchen die Teilnehmer, sich Verhaltensweisen anzueignen, die ihnen beispielsweise helfen, besser Stress und starke Gefühle in den Griff zu bekommen. Sie üben auch, achtsam mit sich selbst umzugehen und ihr zwischenmenschliches Verhalten zu ändern.

Dass die Methode wirksam ist, hat sich in mehreren wissenschaftlichen Studien gezeigt. Danach waren die Patienten nach der Therapie stabiler, ihre soziale Einbindung verbesserte sich und sie verletzten sich weniger selbst. Außerdem nahm die Zahl der Krankenhausaufenthalte ab.

Neben dieser Therapiemethode werden die "Schematherapie", die "Mentalisierungsbasierte Therapie" sowie die "Übertagungsfokussierte Psychotherapie" bei der Behandlung der Borderline-Störung eingesetzt. Allen Therapieformen gemeinsam ist, dass der Patient und der Therapeut am Anfang vereinbaren, wie mit Krisen, Selbstmordversuchen und Störungen der Therapie umgegangen werden soll.
 


Kurzfristige Unterstützung bei Krisen

Die Therapeuten bieten den Patienten bei Krisen kurzfristige Unterstützung an, um ungeplante Klinikeinweisungen zu vermeiden. Im Vordergrund aller Verfahren steht der Umgang mit Selbstmordgedanken und selbst schädigenden Verhaltensweisen. Wegen des unbeständigen Verhaltens der Patienten ist es besonders wichtig, dass der Therapeut für klare Regeln und verlässliche Rahmenbedingungen sorgt. Die Gabe von Psychopharmaka spielt bei der Therapie der Borderline-Störung eine untergeordnete Rolle; Medikamente können kurzfristig in Krisensituationen verordnet oder gegebenenfalls zur Behandlung psychischer Begleiterkrankungen eingesetzt werden.

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