Die Entscheidung für eine Geburt per Skalpell ist vielfach eine Frage des Ermessens: Jedes dritte Kind kommt in Deutschland inzwischen per Kaiserschnitt zur Welt. Die Zahl hat sich in den letzten 20 Jahren verdoppelt. Eine aktuelle Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung offenbart hierbei starke regionale Schwankungen zwischen 17 und 51 Prozent (in Nordrhein-Westfalen zum Beispiel: 24 Prozent Kaiserschnittgeburten im Rhein-Sieg-Kreis und 43 Prozent im Kreis Olpe).
Darin spiegeln sich auch Einstellung und Umgang der jeweiligen Klinik mit dieser technischen Lösung. Da der Kaiserschnitt zwar immer häufiger, aber nicht von sämtlichen Kliniken gleichermaßen angewendet wird und nicht immer einen begründeten Notfall darstellt, benötigen Schwangere sehr gute Informationen über dessen Vor- und Nachteile sowie über den Umgang der Kliniken mit dieser Geburtsform. Nur dann haben sie auch eine faire Chance, das Thema Schnittentbindung bei der Wahl eines Krankenhauses mit zu bedenken.
Vor diesem Hintergrund hat die Verbraucherzentrale NRW bei jeder dritten Klinik mit Geburtsstation in Nordrhein-Westfalen (insgesamt 61) nachgefragt, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Form Schwangere über die jeweilige Kaiserschnittpraxis informiert werden. Von 48 Reaktionen lieferten 44 Rückläufe aussagekräftige Daten: 32 Kliniken geben an, über keinen bestimmten Zeitpunkt – etwa bereits bei der Kliniksuche – für eine umfassende Aufklärung zu verfügen. Nur wenn sich Komplikationen abzeichnen, kommt der Kaiserschnitt in 38 Geburtskliniken (86 Prozent) ausführlich zwischen Arzt und der Schwangeren zur Sprache. In diesem Fall informieren fast alle Kliniken (43 bzw. 98 Prozent) werdende Mütter und Väter über die Risiken und zeigen alternative Entbindungsformen auf (40 bzw. 91 Prozent).
Ergänzend im Vorfeld bietet jedoch nur rund die Hälfte der Entbindungsstationen zusätzliche Veranstaltungen und schriftliche Materialien rund um den Kaiserschnitt an. Auch mit speziellen Informationen im Internet hapert’s noch sehr: Nur 23 Kliniken (38 Prozent) erläutern in drei bis fünf Sätzen den Ablauf eines Kaiserschnitts. Auf Nutzen und Risiken weisen gerade mal drei Krankenhäuser hin.
Fazit: "Beim Kaiserschnitt fehlen feste Standards. Viele Kliniken mit Geburtsstationen nehmen bei diesem heiklen Thema die Pflichten zur Information und Aufklärung, wie sie das neue Patientenrechtegesetz künftig festschreibt, nicht sorgfältig genug wahr. Viele Schwangere wählen ein Krankenhaus, ohne vorher zu wissen, ob Entbindungen mit Skalpell dort an der Tagesordnung sind. Oftmals bleibt ihnen keine eigene Wahl, und sie müssen sich kurz oder während einer Geburt ohne ausreichende Kenntnis für oder gegen einen Kaiserschnitt entscheiden"; kritisiert Müller.
Der NRW-Verbraucherzentralenchef fordert von den Kliniken ein stärkeres Engagement: "In Zeiten generell zugänglicher Information gehört eine fest installierte und frühzeitige Aufklärung rund um den Kaiserschnitt zum Standardprogramm einer Entbindungsstation." Konkret müssen die Kliniken sämtliche krankenhausspezifischen sowie allgemeinen Informationen rund um die Kaiserschnittproblematik öffentlich – online oder gedruckt – zugänglich machen. "Nur anhand einer umfassenden Vorbereitung, in der alle Fakten und Erkenntnisse sowie Zahlen über Häufigkeit der Kaiserschnitte erläutert werden, können werdende Mütter und Väter souverän eine Entscheidung für eine Entbindung in einer Klinik treffen, die ihren persönlichen Bedürfnissen entspricht", erklärt Müller. Dabei dürfen auch Informationen über Schmerzen nach der Operation, Komplikationen bei späteren Schwangerschaften und mögliche seelische Belastungen nicht fehlen.
Den vollständigen Bericht zum Umgang der befragten Entbindungskliniken mit Kaiserschnitten gibt’s im Internet unter www.vz-nrw.de/kaiserschnitt.