Montag, 6. Mai 2013

Mobbing: Wenn aus Kollegen Feinde werden


Konflikte gehören zum Berufsleben dazu. Problematisch ist es, wenn sie nicht gelöst werden, sondern einzelne Beschäftigte als Sündenbock ausgesucht und systematisch und über einen längeren Zeitraum hinweg diskreditiert, gedemütigt, verleumdet, ausgegrenzt und seelisch zermürbt werden. "Dann spricht man von Mobbing", sagt Regina Herdegen, Präventionsexpertin im AOK-Bundesverband. Psychoterror am Arbeitsplatz macht viele Betroffene krank, außerdem verursacht er in den Betrieben hohe Kosten, etwa durch Fehlzeiten, Ausfälle und Einarbeitungen. "Wichtig ist es daher, Mobbing frühzeitig zu erkennen und gezielt gegenzusteuern", sagt Herdegen.

Ein Beispiel aus einer Gewerkschafts-Broschüre: In einer großen Firma wurde umstrukturiert und Beschäftigte entlassen, trotzdem bleibt die Auftragslage schwierig. Dadurch ist ein Klima der Angst, Unsicherheit und verschärften Konkurrenz entstanden. In dieser Situation erhält die engagierte Sekretärin Katja P. die begehrte Stelle einer Assistentin der Geschäftsführung. Ihre Kollegin Tanja S., die länger als sie im Unternehmen arbeitet, fühlt sich übergangen und bringt nach und nach sämtliche Kollegen gegen Katja P. auf.

Gespräche verstummen


Katja P. verdrängt zunächst erste Anzeichen von Problemen. Erst, als niemand mehr mit ihr die Mittagspause verbringen will und Gespräche verstummen, sobald sie den Raum betritt, versucht sie, mit den Kollegen zu reden. Doch diese weichen ihr aus. Tanja S. greift sie nun offen und vor allen anderen an. Die Situation eskaliert - Katja P. wirkt nervös, unkonzentriert und überfordert. Ihre Kollegen beginnen daraufhin, schlecht über sie zu reden und manipulieren ihre Arbeit. In ihrer Verzweiflung beschwert sich Katja P. bei ihrem Chef über ihre Kollegen. Dieser will aber nicht wahrhaben, was in der Abteilung abläuft, und wiegelt ab.

Der Konflikt setzt Katja P. mittlerweile gesundheitlich zu, sie wird für sechs Wochen krankgeschrieben. Als sie an den Arbeitsplatz zurückkehrt, teilt ihr Chef ihr mit, dass sie versetzt werden soll und dass Tanja S. ihre Aufgaben übernimmt. Sie hat keine Kraft mehr, sich dagegen zu wehren. In der neuen Abteilung eilt ihr schon ein gewisser Ruf voraus, sie ist erneut Anfeindungen ausgesetzt. Nach einem weiteren dreiviertel Jahr Psychoterror und mehreren Abmahnungen erhält sie die Kündigung. Sie ist beruflich und gesundheitlich am Ende.

Katja P. ist nur ein Beispiel von vielen Arbeitnehmern, die unter systematischen Schikanen am Arbeitsplatz leiden. So werden laut Mobbing-Report, einer Repräsentativstudie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, in Deutschland etwa drei von 100 Beschäftigten gemobbt. Der Begriff "Mobbing" ist vom englischen Wort "the mob" abgeleitet, was so viel wie "Meute" oder "Pöbel" bedeutet.

Mobbing kann jeden treffen


"Psychoterror am Arbeitsplatz kommt in allen Branchen vor und kann prinzipiell jeden treffen", sagt Präventionsexpertin Herdegen. Begünstigt wird Mobbing durch ein schlechtes Betriebsklima und eine mangelhafte Arbeitsorganisation. "Unsicherheiten und ungelöste Konflikte fördern Frust, Konkurrenzdenken und Neid und können den Nährboden für Mobbing bereiten", warnt Herdegen.

Mobbing richtet sich gegen einen einzelnen Mitarbeiter, der systematisch fertiggemacht und in seinem Selbstwertgefühl verletzt wird. Die Attacken sind unfair, dauern länger als sechs Monate an und können sowohl von Kollegen als auch von Vorgesetzten ausgehen.
Über die Betroffenen werden beispielsweise Gerüchte verbreitet, sie werden wie Luft behandelt, ihre Arbeit wird schlecht gemacht, sie werden als unfähig dargestellt, ihnen werden Informationen vorbehalten und Überempfindlichkeit unterstellt. Leiden viele Gemobbte anfangs unter psychosomatischen Beschwerden wie Kopfschmerzen, Unwohlsein und Schlafstörungen, kann jahrelanges Mobbing schwerwiegende Erkrankungen wie Depressionen und Angstzustände zur Folge haben.

Verbündete suchen


"Je länger der Mobbingprozess andauert, desto schwieriger wird es, ihn zu beenden und desto gravierender sind die Folgen", warnt Herdegen. Betroffenen empfiehlt sie, die Mobbing-Vorfälle schriftlich festzuhalten und zu versuchen, unbeteiligte Kollegen als Verbündete zu gewinnen. Hilfreich kann es auch sein, falls vorhanden, den Betriebsarzt und den Betriebsrat ins Vertrauen zu ziehen. Bei Konflikten zwischen Kollegen ist es sinnvoll, frühzeitig den Vorgesetzten zu informieren. Geht das Mobbing vom Chef aus, kann sich der Betroffene an den nächst höheren Vorgesetzten wenden, sollte dies allerdings nicht ohne Beistand, etwa durch den Betriebsrat, tun.

In festgefahrenen Situationen ist es mitunter ratsamer, sich an externe Anlaufstellen zu wenden, etwa eine Mobbingberatungsstelle, Selbsthilfegruppe oder Psychologen. Den Mobber direkt anzusprechen, bringt in den meisten Fällen nicht viel, kann aber das Selbstbewusstsein stärken. "Versuchen Sie außerdem, sich zu entspannen und abzulenken, damit das Mobbing nicht zum beherrschenden Thema in Ihrem Leben wird", empfiehlt Herdegen.

Kollegen sollten Partei für das Opfer ergreifen


Kolleginnen und Kollegen können eine ganze Menge dazu beitragen, dass die Situation nicht eskaliert. "Wer mitbekommt, dass ein Kollege gemobbt wird, sollte Intrigen und abwertendes Gerede nicht unterstützen, sondern Partei für das Opfer ergreifen", sagt Herdegen. Sinnvoll ist es auch, den Kollegen anzusprechen und Unterstützung anzubieten, indem man ihn beispielsweise bei klärenden Gesprächen begleitet.

Wichtige Rolle der Führungskräfte


Eine wichtige Rolle kommt auch den Führungskräften zu. Um keinen Nährboden für Psychoterror zu schaffen, sollten sie Aufgaben und Verantwortlichkeiten klar regeln, Entscheidungen transparent darstellen, sich gesprächsbereit zeigen und Meinungsverschiedenheiten klären. Gerüchte und Klatsch sollten sie kritisch bewerten und sensibel für das Klima im eigenen Verantwortungsbereich sein. "Tritt dennoch ein Mobbing-Fall auf, sollte der Vorgesetzte von dem mobbenden Mitarbeiter eine Änderung des Verhaltens fordern und Sanktionen verhängen, falls dieser der Forderung nicht nachkommt", sagt Herdegen.

Betriebs- und Personalräte als Vermittler


Die Aufgabe, in einem konkreten Fall als Vermittler oder Schlichter aufzutreten, kommt auch Betriebs- und Personalräten zu. Sie sollten dem Betroffenen zunächst ein Gespräch anbieten und versuchen, die Situation zu analysieren. Ist dieser einverstanden, können sie beide Parteien zu einem Gespräch bitten. Am Ende sollte eine von beiden Seiten getragene Regelung stehen, wie mit dem Konflikt weiter umgegangen wird. Ist der Vorgesetzte selbst der Mobber, sollten Betriebs- und Personalräte dem Betroffenen anbieten, mit ihm zusammen ein klärendes Gespräch zu führen.

Damit Mobbing gar nicht erst entsteht, sollten Betriebs- und Personalräte sich für gute betriebliche Rahmenbedingungen einsetzen und sich beispielsweise bei der Planung von Arbeitsplätzen und Arbeitsabläufen einbringen. In Mitarbeiterbefragungen können sie die Stimmung und mögliche Probleme im Unternehmen herausfinden. Wichtig ist es auch, dass sie Fortbildungen besuchen, die Kollegen über das Thema Mobbing informieren und Ansprechpartner benennen, an die sich Betroffene im konkreten Fall wenden können. Sinnvoll kann außerdem sein, eine Anti-Mobbing-Betriebsvereinbarung zu erarbeiten. "Sie kann bereits im Vorfeld abschreckende Wirkung haben", sagt Herdegen.