Das Interesse an der "Steinzeiternährung" ist in den vergangenen
Jahren neu erwacht. Verfechter des so genannten Paläo-Prinzips (von
"Paläozoikum" = Erdaltertum) empfehlen, sich nach dem Vorbild unserer
Vorfahren aus dieser Zeit zu ernähren. Für die steinzeitlichen Gene des
Menschen komme nur steinzeitliche Kost in Frage. Doch "die heutigen
Lebensbedingungen sind fundamental anders als in der Steinzeit und
erfordern eine zeitgemäße Ernährung", widersprach Professor Claus
Leitzmann dieser These auf der Fachtagung des Verbands für Unabhängige
Gesundheitsberatung e. V. (UGB) in Gießen. Auch die Grundlagen dieser
Theorien sind zu einseitig. Der Mensch sei zwar ein Omnivor, sprich ein
Allesfresser, und ein Opportunist nach dem Motto "iss, was du kriegst",
eine Haltung, die über Jahrmillionen sein Überleben gesichert hat, aber
unsere Organe sind eindeutig pflanzlich geprägt.
Die Evolution unserer Ernährung umfasst eine sehr viel längere
Zeitspanne als die Steinzeit, die vor 2,6 Millionen Jahren anfing und
vor etwa 10.000 Jahren endete. Die ersten Säugetiere tauchten bereits
vor etwa 150 Millionen Jahren auf und die ersten Primaten, unsere
nächsten Verwandten im Tierreich, vor etwa 55 Millionen Jahren. "Wenn
man bedenkt, wie sich unsere sehr frühen Vorfahren ernährt haben und
unsere Verwandten im Tierreich heute noch ernähren, dann zeigt sich,
dass es eine überwiegend pflanzliche Kost war und ist", informierte der
Mitbegründer der Gießener Konzeption der Vollwert-Ernährung. Das könne
man anhand anatomischer und physiologischer Gegebenheiten sehr gut
nachvollziehen, wenn man typische Fleischfresser und typische
Pflanzenfresser aus dem Tierreich mit dem Menschen vergleicht.
Der Speichel von Fleischfressern ist wässrig, der von Pflanzenfressern
dagegen enthält Enzyme, die Kohlenhydrate abbauen. Auch Zähne, Zunge,
Magen und Darm unterscheiden sich deutlich. Bei diesem Vergleich falle
der Mensch ganz eindeutig in die Gruppe der Pflanzenfresser. "Das
wichtigste Argument ist für mich, wie unsere Organe beschaffen sind,
nämlich größtenteils geprägt durch pflanzliche Kost. Diese Erkenntnis
reicht weiter als die Paläo-Diät, denn unsere Organe haben sich in den
letzten zwei Millionen Jahren im Gegensatz zu unseren Genen sehr wenig
verändert", so Leitzmann.
Es sei nicht auszuschließen, dass es Zeiten gegeben hat, in denen sich
die Menschen überwiegend von Fleisch ernährt haben. Doch dies bedeute
nicht, dass sich unsere Organe in dieser Zeit in Richtung Fleischfresser
wesentlich verändert hätten. Auch die Tatsache, dass Menschen kein
Vitamin C bilden können, spricht für die kontinuierliche Aufnahme
pflanzlicher Kost. "Wir verbringen den ganzen Tag vor dem Computer. Das
ist in der Natur nicht vorgesehen. Deshalb müssen wir überlegen, wie hat
uns die Evolution geschaffen, welche Erkenntnisse stehen uns heute zur
Verfügung, welchen Lebensstil führen wir, und dann die Schlussfolgerung
ziehen.
Was bleibt, ist die Empfehlung zu überwiegend pflanzlichen und wenig
tierischen Produkten, sprich statt Mammutsteaks reichlich Gemüse und
Nüsse, gewisse Mengen an Vollkornprodukten und Hülsenfrüchten sowie
Kräuter und Rohkost - Obst und fermentierte Produkte. Das wäre die
Lösung", daran besteht für den Experten, der in Deutschland zu den
renommiertesten Ernährungswissenschaftlern zählt, kein Zweifel.
Irmingard Dexheimer, www.aid.de