Dienstag, 26. Februar 2013

Potenzial älterer Menschen stärker nutzen


Tiefe Falten, graue oder weiße Haare, Gebrechlichkeit, nachlassende Kräfte – das Bild des Alterns in unserer Gesellschaft ist eher negativ. Zu unrecht, findet Professor Dr. Hans-Werner Wahl: "Studien zufolge sind die meisten Älteren im Schnitt sehr zufrieden. Erst ab dem Alter von 85 oder 90 lässt die Zufriedenheit etwas nach, etwa durch Krankheit."


Wahl leitet die Abteilung für Psychologische Alternsforschung am Psychologischen Institut der Universität Heidelberg. Welche positiven Seiten das Alter hat, wie man sich auf diesen Lebensabschnitt vorbereiten kann und was Ältere in die Gesellschaft und die Unternehmen einbringen, erklärt Wahl im Gespräch mit dem AOK-Medienservice.

Die Lebenserwartung in Deutschland steigt – wann ist man heute eigentlich alt?

Wahl: Viele Menschen sehen sich heutzutage erst mit Mitte 70 als alt an – das haben empirische Studien gezeigt. Die Pensionierung oder Rente empfinden die meisten nicht mehr als Beginn des Alters. Wann für den Einzelnen das Alter beginnt, ist allerdings sehr unterschiedlich und hängt stark von der individuellen Einstellung ab. Menschen, die sich zum Beispiel mit 80 jünger fühlen, als sie sind, leben häufig gesünder, sind aktiver und fitter als andere, die sich als alt ansehen. Insgesamt wird sich vermutlich das Alter, ab dem sich jemand alt fühlt, in Zukunft noch weiter nach oben verschieben. "Alt sein" wird mit körperlichen und geistigen Defiziten gleichgesetzt.

Wie wirkt sich das aus?

Wahl: Leider ist ein sehr negatives Bild des Alters und Alt-Werdens in unserer Gesellschaft weit verbreitet. Studien haben gezeigt, dass Menschen, die diese Erwartungshaltung verinnerlicht haben, sich auch dementsprechend verhalten: Sie gehen gebückter, langsamer und wirken bedrückter, als sie müssten. Aber natürlich ist das Alter auch tatsächlich mit dem Verlust körperlicher und geistiger Fähigkeiten verbunden.

Entspricht das negative Altersbild der Realität?

Wahl: Wer das Alter nur negativ sieht, verkennt die Realität. Denn der Prozess des Alterns zieht sich über viele Jahre hin. Die meisten älteren Menschen können sich an diesen Prozess gut anpassen und viele Defizite kompensieren. Schlechteres Sehen und Probleme mit dem Autofahren können sie beispielsweise dadurch ausgleichen, dass sie nicht mehr so weit wegfahren. Dazu kommt, dass die jetzige Generation der Alten im Durchschnitt noch relativ fit ist. Viele kümmern sich um ihre Enkel und pflegen ihre hochbetagten Eltern. Deshalb ist es wichtig, dass wir das Potenzial und die Lebenserfahrung älterer Menschen stärker nutzen.

Bringt das Alter auch Vorteile mit sich, und wie kann man sie nutzen?

Wahl: Ältere Menschen leben heute im Durchschnitt nicht nur lange, sondern haben auch viel Zeit – in unserer hektischen Welt ist das viel wert. Die meisten sind relativ gelassen und lassen negative Erfahrungen nicht so stark an sich herankommen. Im Vergleich zu Jüngeren können sie besser mit negativen Gefühlen umgehen, Verluste umdeuten und dem Leben gute Seiten abgewinnen. Viele ältere Menschen investieren viel Zeit und Energie in ihren nahen Familienkreis, außerdem pflegen sie soziale Netzwerke. Ein wichtiges Pfund alter Menschen sind auch ihr Lebenswissen und ihr Erfahrungsschatz.
Beschäftigte sollen künftig bis 67 arbeiten.

Wie können sie das schaffen? Was können Unternehmen tun?

Wahl: Unternehmen sollten älteren Mitarbeitern noch Weiterbildungsmaßnahmen anbieten und sie nicht aufs Abstellgleis stellen. Wichtig sind auch Präventionsangebote wie Rückenschulen, damit Ältere gesund bleiben. Technische Hilfsmittel wie spezielle Computertastaturen können älteren Beschäftigten die Arbeit ebenfalls erleichtern. Sinnvoll ist es auch, altersgemischte Teams zu etablieren, die häufig sehr erfolgreich arbeiten. Es gibt schon schöne Beispiele für die Förderung älterer Arbeitnehmer in deutschen Firmen, aber es muss auch noch einiges geschehen. Entscheidend ist die Unternehmenskultur. Wenn die Führungskräfte ältere Mitarbeiter als bedeutsamen Teil der Firma sehen und sie wertschätzen, bemühen sich die Beschäftigten selbst auch stärker, ihre Kompetenzen einzubringen, als in einem Unternehmen, in dem sie nicht erwünscht sind. Ältere identifizieren sich häufig stark mit ihrer Firma, sind erfahren und oft sozial kompetenter als Jüngere.

Gehen Frauen und Männer unterschiedlich mit dem Älterwerden um?

Wahl: Es gibt durchaus Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Frauen müssen wegen ihrer höheren Lebenserwartung häufig länger alleine leben und werden in der Gesellschaft auch stärker als alt angesehen. Allerdings können viele Frauen auch besser mit Verlusten umgehen als Männer, weil sie oft über ein besseres soziales Netzwerk verfügen und anpassungsfähiger sind. Ältere Männer hadern dagegen häufig sehr mit ihrem Schicksal. Wie man das Älterwerden gestaltet, hängt jedoch insgesamt vor allem von der persönlichen Einstellung ab.

Was trägt am meisten zur Zufriedenheit älterer Menschen bei?

Wahl: Den größten Einfluss auf die Zufriedenheit hat es, wie jemand seine Gesundheit subjektiv einschätzt und wie er seine soziale Einbindung erlebt. Alleinlebende, die sich ein soziales Netzwerk aufgebaut haben, müssen da keine Nachteile haben. Wer dagegen der Ansicht ist, dass er bedeutsame Ziele in seinem Leben nicht erreichen konnte, und wer sehr einsam ist, hat ein höheres Risiko, im höheren Lebensalter depressiv zu werden.

Wie kann man sich auf ein hohes Alter vorbereiten, um es als einen erfüllten Lebensabschnitt zu erleben?

Wahl: Es ist sinnvoll, sich frühzeitig mit dem späteren Leben im Alter auseinanderzusetzen. Manches kann man schon im mittleren Lebensalter aufs Gleis setzen, indem man beispielsweise ein Instrument erlernt, Formen des Engagements für später einfädelt, überlegt, wie man später wohnen möchte, und sich insgesamt gut über Fragen des Alterns informiert. Wichtig ist aber vor allem die Einstellung, dass das Alter schöne Seiten hat, dass es nicht mit Siechtum gleichzusetzen ist, sondern dass man noch Neues beginnen und sein Leben aktiv gestalten kann.

Was kann jeder Einzelne tun, um möglichst lange gesund und aktiv zu bleiben?

Wahl: Der Satz "Wir sind unseres Glückes Schmied" gilt auch fürs Alter. Jeder kann selbst viel dazu beitragen, sich bis ins hohe Alter hinein geistige Fähigkeiten zu erhalten und Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorzubeugen. Das gelingt durch eine gesunde Lebensweise mit viel Bewegung, eine ausgewogene Ernährung und den Verzicht aufs Rauchen. Auch für Ältere gibt es geeignete Sportarten wie Nordic Walking. Kraft-Balance-Training wirkt sich noch bei 90-Jährigen positiv auf ihre Gesundheit und die Vermeidung von Stürzen aus. Wichtig ist ein regelmäßiges und langfristiges Training. Dagegen haben Menschen, die ihr Leben lang übergewichtig waren, sich wenig bewegt und viel geraucht haben, ein höheres Risiko, später pflegebedürftig zu werden. Das frühere Leben hat also sehr viel mit dem späteren zu tun. Das Alter ist keine vom vergangenen Leben abgetrennte Phase, sondern eben ein bedeutsamer Teil unseres Lebens als eine ganzheitliche Gestalt.